Geschichte der Schulsternwarte

DIE GRÜNDUNG DER STERNWARTE

Fraunhofer Refraktor

Die Geschichte der Bautzener Schulsternwarte beginnt mit einem ungewöhnlichen Gründungsdatum. Bis 1990 wurde als Gründungsjahr der 16. April 1922 genannt, doch 1991 entdeckten Mitarbeiter des Stadtmuseums, dass die Sternwarte bereits 1872 gegründet wurde. Ihr Ursprung liegt im Vermächtnis von Friedrich Carl Stieber, einem Bautzener Apellationsgerichts-Vizepräsidenten und Amateurastronomen. Stieber hatte seine eigene private Sternwarte im Garten seines Hauses aufgebaut und hinterließ diese zusammen mit einem hochwertigen Fernrohr (siehe Foto) der Stadt Bautzen mit der Auflage, sie für die astronomische Ausbildung der Jugend zu nutzen.

Der Stadtrat entschloss sich 1871, diese Sternwarte im Garten des Städtischen Gymnasiums zu errichten. Dort konnte die Schule das Fernrohr für astronomische Beobachtungen nutzen, auch wenn der Stadtrat sich weigerte, Kosten für den Bau zu übernehmen. Die Sternwarte wurde jedoch zunehmend von den Jahren und der Nutzung des Fernrohrs beansprucht, was zu Schäden führte. Mehrere Reparaturen des Fernrohrs waren notwendig und verursachten hohe Kosten. Zudem ließ die Qualität der Beobachtungen aufgrund der Position des Fernrohrs und der Witterungseinflüsse nach. Aus diesen Gründen suchte man nach einer Alternative für die Nutzung und entschloss sich 1891, das Fernrohr in das Gebäude der neu erbauten Knaben-Bürgerschule zu verlagern. Hier wurde es in einem speziell eingerichteten Raum neben dem Physikkabinett aufgestellt, jedoch gab es keine Möglichkeit, das Fernrohr auf dem Dach der Schule zu installieren, wie ursprünglich geplant. Die Nutzung des Fernrohrs beschränkte sich in den Folgejahren jedoch stark, was vermutlich an der geringen Nutzung und den beschädigten Geräten lag.

DIE STERNWARTE AN DER OBERREALSCHULE

Johannes Franz war eine treibende Kraft hinter dem Ausbau der Sternwarte an der Oberrealschule Bautzen (heutiges Schiller-Gymnasium). Nachdem die astronomische Arbeit 1925 durch den Verlust des bisherigen Beobachtungsraums stark eingeschränkt wurde, begann Franz 1926 mit dem Bau eines eigenen 6-Zoll-Spiegelteleskops. Dieses Instrument war mit einer hochwertigen Optik ausgestattet und wurde aus finanziellen Gründen größtenteils aus Schrottmaterial gefertigt. Dennoch gelang es ihm, ein stabiles und leistungsfähiges Teleskop zu konstruieren, das astronomische Beobachtungen in hoher Qualität ermöglichte.

Gemeinsam mit dem damaligen Schuldirektor Dr. Kleber setzte sich Franz für den Neubau einer Sternwarte ein. Die Stadtverordneten erkannten den Wert dieses Vorhabens und beschlossen 1926, finanzielle Mittel für den Ausbau bereitzustellen. Dank privater Stiftungen konnte das Projekt weiter vorangetrieben werden. Obwohl aus bautechnischen und finanziellen Gründen keine Kuppel errichtet werden konnte, wurde ein nach Süden ausgerichteter Beobachtungsraum geschaffen. Dieser verfügte über zwei große Schiebefenster, die eine flexible Himmelsbeobachtung ermöglichten.

Die Sternwarte wurde mit großer Sorgfalt eingerichtet. Der Fraunhofer-Refraktor sowie das neue 6-Zoll-Spiegelteleskop wurden auf stabilen Freiträgern montiert, sodass ein weiter Beobachtungsbereich vom Südhorizont bis zum Zenit abgedeckt werden konnte. Zwei angrenzende Räume wurden für Ausstellungen genutzt und eine kleine Werkstatt eingerichtet. Eine besondere technische Verbesserung waren zwei elektrische Uhren, die sowohl die mitteleuropäische Zeit als auch die Sternzeit anzeigten.

Gründer und Namensgeber der ersten deutschen Schulsternwarte – Studienrat Johannes Franz (16.05.1892 – 09.09.1956)

Im Jahr 1927 erhielt die Sternwarte weitere Unterstützung durch lokale Unternehmen und Privatpersonen. Die Baumeister Kaup und Scheibe ermöglichten den Bau eines zusätzlichen beheizten Arbeitszimmers, das als Bibliothek und Rechenraum diente. Der Fabrikdirektor Reichert stellte ein weiteres hochwertiges Teleskop leihweise zur Verfügung und bot den Zugang zu seiner eigenen Privatsternwarte mit einem 5-Zoll-Refraktor an. Diese zusätzlichen Ressourcen erweiterten die Möglichkeiten der Sternwarte erheblich.

Der Neubau brachte einen enormen Aufschwung für die astronomische Arbeit in Bautzen. Die Mitarbeiter engagierten sich leidenschaftlich für die Gestaltung der Innenräume und sorgten für eine umfangreiche Ausstattung mit Karten, Zeichnungen und Fotografien. Die Sternwarte entwickelte sich zu einem bedeutenden Zentrum für die astronomische Ausbildung und Beobachtung. Johannes Franz’ Einsatz war entscheidend für die Erhaltung und Modernisierung der Sternwarte, die auch in den folgenden Jahrzehnten eine wichtige Rolle für die astronomische Forschung und Bildung spielte.

DIE STERNWARTE AM SORBISCHEN INSTITUT FÜR LEHRERBILDUNG

Im Jahr 1956 verlegte die Stadtverwaltung die Sternwarte in das Sorbische Institut für Lehrerbildung. Der Hauptgrund für den Umzug war eine ungenutzte Sternwartenkuppel auf dem Dach des Gebäudes. Das Gebäude selbst hatte eine bewegte Geschichte: Ursprünglich als katholisches Lehrerseminar errichtet, wurde es während des Nationalsozialismus als Zollschule genutzt, diente im Krieg als Lazarett und brannte während der Kämpfe um Bautzen völlig aus. Nach dem Wiederaufbau erhielt der Ostflügel aus unbekannten Gründen eine Kuppel, die schließlich der neuen Sternwarte zugutekam.

1965 wurde die Einrichtung durch ein Planetarium ergänzt, das Platz für bis zu 40 Personen bot. Die Kuppel ermöglichte die Darstellung von rund 5000 Sternen der nördlichen Hemisphäre, wobei die geografische Breite des Beobachtungsstandorts flexibel zwischen 0° (Äquator) und 90° (Nordpol) eingestellt werden konnte. Damit konnten realistische Himmelsansichten für astronomische Lehrzwecke simuliert werden.

Die technische Ausstattung der Sternwarte wurde weiter ausgebaut. In der Kuppel wurde ein leistungsstarker Zeiss-Refraktor mit einer Öffnung von 130 mm und einer Brennweite von 1950 mm installiert. Mitte der 1970er-Jahre kam ein weiteres bedeutendes Instrument hinzu: Ein Mitarbeiter der Sternwarte, Herbert Niemz, konstruierte ein großes Spiegelteleskop mit 400 mm Öffnung und einer variablen Brennweite von bis zu 6000 mm, montiert auf einer robusten Zeiss-Montierung. Bau der Planetariumskuppel auf der Flinzstraße. Diese diente als Grundlage für die Installation des Zeiss-Kleinplanetariums (ZKP1).

UMZUG AN DAS HEUTIGE DOMIZIL IM NATURPARK BAUTZEN

1977 musste die Sternwarte ihr Domizil im Sorbischen Institut für Lehrerbildung verlassen, da die Institutsleitung den Mietvertrag aus Eigenbedarf kündigte. In den folgenden Jahren begann mit Unterstützung des Rates des Kreises und der Stadt Bautzen der Bau eines neuen, großzügigen Gebäudes im Naturpark. Trotz ausreichender finanzieller Mittel verzögerte sich der Bau durch Material- und Baustoffmangel und wurde erst 1982 fertiggestellt.

Das neue Observatorium bot erheblich verbesserte Bedingungen für astronomische Beobachtungen. Im Zentrum der Anlage standen zwei Kuppelgebäude mit den Hauptinstrumenten. Die 5-Meter-Kuppel beherbergte einen leistungsstarken Zeiss-Refraktor und in der 8-Meter-Kuppel wurde ein großes Cassegrain-Spiegelteleskop untergebracht. Das Lehrgebäude bot mit einem Zeiss-Kleinplanetarium und einem Hörsaal mit 42 Sitzplätzen hervorragende Möglichkeiten für Bildungsarbeit. Ein großzügiges Foyer diente für Ausstellungen. Ergänzt wurde die Einrichtung durch eine moderne Uhrenanlage, eine Werkstatt, eine Bibliothek sowie eine Wettersatelliten-Empfangsanlage.

Nach 1990 änderten sich die Bedingungen jedoch drastisch. Finanzielle Engpässe führten zu einem erheblichen Personalabbau. Während bis 1996 noch zwei bezahlte Mitarbeiter tätig waren, reduzierte sich das Personal danach auf eine einzige Stelle. Dies hatte direkte Auswirkungen auf die Arbeit der Sternwarte, da viele Tätigkeitsbereiche eingeschränkt oder ganz aufgegeben werden mussten.

1996 übernahm Ing. Wolfgang Schwinge, ein langjähriger Mitarbeiter der Sternwarte, die Leitung der Einrichtung. Der Fokus lag nun verstärkt auf der Öffentlichkeitsarbeit, die bereits seit den Zeiten von Johannes Franz ein zentrales Element der Sternwartenarbeit war . Während die Öffentlichkeitsarbeit florierte, ging die Zusammenarbeit mit Schulen jedoch stark zurück. Besonders der organisierte Besuch von Schulklassen im Rahmen des Astronomieunterrichts nahm deutlich ab. Dies lag unter anderem an Änderungen im Bildungssystem, wodurch das Interesse an astronomischen Exkursionen nachließ.

Zum 1. Januar 2020 wurde die Schulsternwarte Bautzen in die Verantwortung der Beteiligungs- und Betriebsgesellschaft Bautzen mbH (BBB) übertragen. Diese städtische Tochtergesellschaft übernahm Verwaltung und Betrieb der Sternwarte, um deren Zukunft langfristig zu sichern.

ARBEITSGEBIETE

Von 1872 bis 1905 diente die Schulsternwarte Bautzen primär dem Schulbetrieb und der Lehrerausbildung. Erst 1922 wurde sie unter der Leitung von Johannes Franz neu gegründet und verfolgte vor allem das Ziel, junge Menschen für die Astronomie zu begeistern. Verschiedene Arbeitsgruppen fokussierten sich auf Themen wie Sonnen-, Mond- und Planetenbeobachtungen sowie die Betreuung und den Bau von Instrumenten. Die Sternwarte unterstützte wissenschaftliche Projekte, wie die Sonnenbeobachtung für die Eidgenössische Sternwarte in Zürich und die Untersuchung von veränderlichen Sternen für die Sternwarte Sonneberg.

Mit dem Start des ersten künstlichen Erdsatelliten 1957 und der Bitte der sowjetischen Akademie der Wissenschaften wurde die Sternwarte in die internationalen Satellitenbeobachtungen eingebunden. Sie leistete wesentliche Beiträge zur Bahnvermessung von Satelliten und arbeitete eng mit internationalen Stationen wie in Ungarn zusammen. Die Ergebnisse trugen zur Entdeckung von Luftdichteschwankungen in der oberen Atmosphäre bei. Besonders bedeutend war die Beobachtung des ersten bemannten Raumflugs von Juri Gagarin im Jahr 1961. Für diese Leistung erhielt die Sternwarte ein Dankesschreiben, das von Gagarin persönlich signiert wurde (siehe Foto). Daneben war die Sternwarte maßgeblich an der Einführung der Astronomie als Unterrichtsfach 1959 beteiligt und unterstützte sowohl die Schulbildung als auch die Aus- und Weiterbildung von Astronomielehrern. Auch mit dem Erwerb eines Zeiss-Kleinplanetariums und der Unterstützung zahlreicher Fortbildungen für Lehrer spielte die Sternwarte Bautzen eine zentrale Rolle in der Astronomiepädagogik.

Dankesschreiben Gagarins

AKTUELLE ENTWICKLUNG UND PROBLEME

Seit 2018 hat die Schulsternwarte Bautzen eine wechselvolle Entwicklung durchlaufen. Als eine der ältesten Einrichtungen dieser Art in Deutschland stand sie immer wieder vor finanziellen und organisatorischen Herausforderungen. Bereits 2018 wurde über ihre Zukunft diskutiert, da die damaligen Verantwortlichen mit begrenzten finanziellen Möglichkeiten zu kämpfen hatten. Zudem war die Sternwarte sanierungsbedürftig, und es fehlten die Mittel für notwendige Modernisierungsmaßnahmen. Um den Fortbestand der Schulsternwarte zu sichern, wurde 2019 beschlossen, die Einrichtung einer städtischen Beteiligungsgesellschaft zu übergeben. Zuvor wurde die Sternwarte von einem Förderverein betrieben, der aus dem städtischen Haushalt finanzielle Unterstützung erhielt. Mit der neuen Verwaltungsstruktur sollte eine langfristige Absicherung und bessere Organisation gewährleistet werden. In den folgenden Jahren erhielt die Einrichtung finanzielle Unterstützung durch verschiedene Spenden, die dazu beitrugen, den Betrieb aufrechtzuerhalten.

Trotz dieser Maßnahmen blieb die Situation angespannt. Ende 2023 bot die städtische Beteiligungsgesellschaft einen neuen Pachtvertrag an. Die genauen Bedingungen des Vertrags führten zu Unklarheiten, insbesondere hinsichtlich der finanziellen und organisatorischen Verantwortung der Betreiber. Aufgrund von Missverständnissen hinsichtlich der Vertragsbedingungen wurde das Angebot abgelehnt. Infolgedessen lief die bisherige Nutzungsvereinbarung zum Jahreswechsel 2023/2024 aus, was zur vorläufigen Einstellung des Betriebs führte. Geplante Veranstaltungen mussten abgesagt werden, und der Zugang zur Einrichtung war nicht mehr möglich.

Im März 2024 wurde ein neuer Verein gegründet, der sich für die Wiederbelebung der Schulsternwarte einsetzt. Die Initiative ging von engagierten Bürgern aus. Ziel der Neugründung ist es, eine tragfähige Lösung für den Weiterbetrieb der Sternwarte zu finden. Damit der Verein die notwendigen Unterstützer für eine Erneuerung gewinnen kann, muss die Sternwarte so aufgestellt werden, dass sie gemeinnützig betrieben wird. Gemeinnützigkeit und eine wirtschaftliche Unternehmensstruktur schließen sich gegenseitig aus, weshalb eine tragfähige Lösung gefunden werden muss, die dies berücksichtigt.

Die Zukunft der Schulsternwarte hängt nun von den weiteren Verhandlungen zwischen der städtischen Beteiligungsgesellschaft und dem neuen Verein ab. Es gilt, eine Lösung zu finden, die den Fortbestand dieser traditionsreichen Bildungseinrichtung sichert und ihre Rolle als außerschulischer Lernort weiterhin ermöglicht. Ob und wann eine Wiedereröffnung im traditionellen Stil erfolgen kann, ist derzeit noch ungewiss.

Der neugegründete Verein ad astra Bautzen e.V setzt sich die Wiederbelebung und Weiterentwicklung der Einrichtung zum Ziel.